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Verleihung des St. Leopold-Friedenspreises am 27. April 2023 im Stift Klosterneuburg bei Wien durch Prälat Maximilian Fürnsinn, Administrator des Stifts und
Wolfgang Christian Huber, Museum | Kustos der Kunstsammlungen


TEXTE ZUM WERK

Sakrales im Werk von Konstanze Trommer

Obwohl Konstanze Trommers Malerei realistisch ist, bildet keines ihrer Bilder Realität um der Realität willen ab. Sucht man nach Wurzeln für ihre Kunst, so wird man beim magischen Realismus der Zwischenkriegszeit ebenso fündig wie bei den Werken der Leipziger Schule in ihrer „sachlichen“ Richtung. Doch Konstanze Trommer hat ihre Malerei in eine ganz eigene Richtung weiterentwickelt.

Sie wurde in den letzten Jahren zu einer Meisterin der modernen Allegorie. Die Allegorie versucht abstrakte Begriffe dadurch zu verdeutlichen, dass sie sie als menschliche Personen darstellt und sie so greifbarer macht. Nicht immer wird das Bild dadurch leichter verständlich, denn die Symbolsprache der Allegorie muss man lesen können. Schon die mittelalterliche Kunst kennt die Allegorie, etwa in Gestalt der „Frau Welt“ als Inbegriff aller Verführungen und Laster. Doch auch Tugenden oder die Freien Künste wurden bereits als Frauengestalten dargestellt.

In der Barockzeit, als dieses Stilmittel am häufigsten verwendet und am höchsten verfeinert wurde, entlehnte man dafür gerne Figuren aus der antiken Mythologie, etwa Herkules als Allegorie der Stärke oder Pallas Athene als Verkörperung der Weisheit. Dazu traten Figuren, deren Grundlage in biblischen Erzählungen zu finden ist, aber auch frei erfundene wie die drei weiblichen Gestalten, die als Kardinaltugenden „Glaube, Liebe, Hoffnung“ die Kirchen bevölkern. Um die Allegorie verständlich werden zu lassen, wird sie mit einem Gegenstand, einem Attribut, versehen. Der Glaube hält einen Messkelch, die Liebe ein Herz, die Hoffnung ist durch den Anker ausgezeichnet.

Die wenigsten würden sich durch eine allegorische Figur direkt emotional angesprochen fühlen. Das ist auch nicht angestrebt, sie stehen ja für abstrakte Prinzipien. Konstanze Trommers Allegorien sind anders. Sie adressieren uns direkt und wir fühlen uns von ihnen unmittelbar berührt. Denn das sind weder mythologische noch biblische Gestalten, es sind Figuren, denen man deutlich ansieht, dass es Menschen von hier und jetzt sind. Ihre Modelle findet die Künstlerin in ihrem familiären oder bekanntschaftlichen Umfeld oder sie begegnet ihnen auf der Straße. Diese kehren dann, wenn sie einmal im Kosmos der Malerei Trommers Fuß gefasst haben, in mehreren Bildern wieder.

Das Bildpaar „Verheißung“ und „Ereignis“ von 2015/16 ist ein schönes Beispiel für die Trommersche Art der Allegorie. Beide Bildtitel sind abstrakte Begriffe und es wird ja auch in ganz traditioneller Weise mit dem Symbol der Taube gearbeitet, die sowohl für den Heiligen Geist als auch allgemein für den Frieden steht. Doch darüber hinaus schafft es die Künstlerin ein junges Elternpaar zu zeigen, deren liebevoller Zuneigung zueinander und ihrem Baby gegenüber sich kaum ein Betrachter verschließen wird können.

Konstanze Trommer versieht ihre Bilder mitunter mit Titeln, die gängigen Motiven der kirchlichen Kunst entsprechen, die sie aber in neue, zeitkritische Zusammenhänge stellt. Eine größere Werkgruppe kreist um das Motiv der Pietà. Das ist ursprünglich die Darstellung der Muttergottes mit dem Leichnam ihres Sohnes Jesus Christus auf dem Schoß, ein im Spätmittelalter entwickelter Bildtyp. Die Betrachter werden dazu aufgefordert, am Leid der Mutter um das tote Kind teilzuhaben. Konstanze Trommer hat die klassische Pietà umgedeutet in die Richtung, die ihr besonderes persönliches Anliegen ist, die Klage über den rücksichtslosen Umgang mit der Natur, die bedrohte Schöpfung.

So begegnen wir bei ihr einer Pietà mit Ferkel, einer Pietà mit Fuchs oder einer Pietà mit Waschbär. Eine Pietà, bei der der Gottessohn durch ein Ferkel ersetzt ist, mag einigen vielleicht blasphemisch vorkommen. Aber die tragende Figur wird in keinem Fall mit der Gottesmutter gleichgesetzt. Das Mädchen, das uns das Ferkel präsentiert ist genau so eine moderne Allegorie wie oben beschrieben: Nennen wir sie „Junge Generation“. Als Attribut präsentiert sie uns einen Hinweis auf die Massentierhaltung, der jedes respektvolle Verhältnis zur Kreatur abhanden gekommen ist.

Und doch gehen die Bezüge zur Kunst vergangener Jahrhunderte über eine reine Titelübernahme hinaus. Die Bilder erinnern in ihrer Statik an die Heiligentafeln gotischer Flügelaltäre.
Die „Pietà mit Waschbär“ spielt mit dem Goldgrund, wie er bei den gotischen Tafelbildern Verwendung fand. Die „Pietà mit Fuchs“ ist in direkter Auseinandersetzung mit einem gotischen Vesperbild im Mittelrhein-Museum Koblenz entstanden. Gemälde des Barockmalers Januarius Zick im Koblenzer Museum wiedergefunden hat, wurde von ihr als Bestätigung ihres Zugangs zu diesem Thema empfunden.

Konstanze Trommers Pietà-Bilder mahnen den Respekt vor der gesamten Schöpfung ein, wie ihn schon der Heilige Franziskus von Assisi gepredigt hat, und wie ihn Papst Franziskus in seiner Enzyklika „Laudato si“ massiv einfordert. Die Pietà-Gemälde und andere Einzelfigurenbilder führen zu dem großen Gemälde „Das Boot“, das 2023 mit dem St.Leopold-Friedenspreis des Stiftes Klosterneuburg ausgezeichnet wurde. In diesem Bild werden Figuren aus früheren Werken zusammen mit vielen anderen in Art eines „Opus magnum“ zusammengezogen. Ein Boot, in dem sich eine bunte Menschenmenge drängt, wird von einem älteren Mann über einen wüstenartigen Sandboden gezogen. Der Mann trägt Badeshorts und eine Dornenkrone. Obwohl Christus nie als alter Mann dargestellt wird, da er ja kein hohes Alter erreichte, ist die Assoziation sofort da und die Künstlerin selbst spricht hier von einer „Christusfigur“.
Vielleicht wird die Sache verständlicher, wenn wir hier eher vom „Erlöser“ sprechen. Der Erlöser hat aber größte Mühe sein Werk zu vollbringen, denn die allegorische Menschheit, im Boot zusammengedrängt, macht es ihm denkbar schwer. Sie hat den Ernst der Lage nicht erkannt oder will ihn nicht erkennen. Sie tut jedenfalls nichts dazu, ihm seine Aufgabe zu erleichtern. Die meisten sind viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt, um zu verstehen, was da draußen vor sich geht. Oder sie sehen die Zeichen des nahenden Untergangs zwar, empfinden sie aber als Teil eines großen Abenteuerspiels. Wie ernst die Lage schon ist, signalisiert der bis zum Skelett abgemagerte Eisbär am linken Bildrand, dem das Eismeer bereits unter den Pfoten weggeschmolzen ist.
Das Boot ist natürlich ein modernes „Narrenschiff“. Und wie im literarischen Vorbild aus dem Jahr 1494 scheint dieses auf ein bitteres Ende zuzutreiben. Dem gebeugten Alten traut man jedenfalls nicht wirklich zu, das Boot in sichere Bereiche zu ziehen, auch wenn er von einem Schlittenhund – aber nur von diesem – dabei tatkräftig unterstützt wird.

Dem „Boot“ hat Konstanze Trommer ein zweites Bild nachfolgen zu lassen, dessen Aussage viel weniger pessimistisch ist. Der vertrocknete Ozean ist hier wieder mit Wasser gefüllt, niemand ist gezwungen dieses Boot mühsam zu ziehen. Natur und tierische Begleiter bilden nun die leitende Kraft. Es ist von Vertreter:innen einer jungen Generation bevölkert und ein Mädchen wagt kühn den Absprung in die Zukunft. Wohl finden sich auch hier mahnende Motive wie die im Wasser treibenden PET-Flaschen oder Kinder, deren Körper von Mangel und Entbehrung gezeichnet sind.

Auch hier bedient sich Konstanze Trommer aus dem Figurenkosmos, den sie sich in den letzten Jahren erarbeitet hat. Das Mädchen mit dem weißen Sturzhelm, das im Vordergrund einen Delphin füttert, kennen wir schon aus dem Gemälde „Eden“, wo sie diejenige ist, die in einem unermesslichen Plastikmüllberg ein gestrandetes Robbenbaby aus einem Fischernetz befreit. Auch im „Boot“ findet sie sich, hier scheint sie die einzige zu sein, die den Ernst der Lage erfasst hat. Konstanze Trommer sagt, ihre Intention geht in ihrem gesamten Schaffen dahin, Menschen eine Perspektive anzubieten, die Aussicht auf eine glücklichere Zukunft, sofern sie tätig werden und etwas ändern.

Der Bildtitel „Eden“ bringt uns zu einem anderen biblischen Motiv, das sich wie ein roter Faden durch viele Werke von Konstanze Trommer zieht: Das verlorene Paradies.
„Aufbruch ins Paradies“ nennt sich eine Serie großformatiger digitaler Grafiken der Jahre 2010/12. Die Serie hinterfragt wieder einmal das Verhältnis des Menschen zu seiner Umwelt, die von Profitgier, Zerstörung und Ignoranz gekennzeichnet ist. Dafür steht das Goldene Kalb, ein weiteres biblisches Motiv, das sie in ihren Wandbehängen verwendet hat. Das Paradies sieht die Künstlerin in der unbeschwerten Kindheit, voll von Hoffnungen und im Spiel ohne jedes materielle Gewinnstreben.

Eine weitere wichtige Werkgruppe neben den Figurenbildern sind die Stillleben. Vor allem am Beginn der 2000-er Jahre hat sich Konstanze Trommer dieser Bildgattung gewidmet. Innerhalb dieser Gruppe nimmt das große „Abendmahl“ eine Sonderstellung ein. Die Motivkombination Brot, Wein und Fisch bietet genügend Anknüpfungspunkte für eine biblische Deutung. Auch die Wahl des Triptychons hebt dieses Werk fast automatisch in die sakrale Sphäre. Der Fisch ist nicht nur ein frühchristliches Symbol für Christus, sondern verweist zusammen mit dem Brot auch auf das biblische Wunder der Speisung der Fünftausend. Der Brotlaib wird zur Weltkugel. „Ohne Erde kein Korn, ohne Korn kein Brot“ schreibt die Künstlerin zu diesem Motiv. Messer und Gabel liegen bereit, und so wird das Weltenbrot nun von allen aufgefressen – arm oder reich. Für wen ist das Weinglas bereitet, für wen ist der Fisch bereits geteilt? Was wird aus der Welt, wenn sie angeschnitten ist. Das Tellerbrot schwebt im Weltraum. In weiter Ferne wird eine Galaxie erkennbar: Wir sind nicht alleine im All, doch die Probleme, wie wir uns in unserer Hybris eingebrockt haben, können wir nur selbst lösen, denn die nächsten, die wir eventuell um Hilfe fragen könnten, sind zu weit weg.

Konstanze Trommer, der als Chorsängerin in Thüringen die Kantatentexte von Heinrich Schütz bis Johann Sebastian Bach geläufig sind, verweist auf die Luthersche Übertragung der Antiphon „Da Pacem, Domine“ in der es heißt: „Es gibt doch kein ander nicht, der für uns könnte streiten, denn du, unser Gott alleine!“
Konstanze Trommer wird verstanden. Davon geben Ausstellungsbeteiligungen und Auszeichnungen beredtes Zeugnis ab. Das „Abendmahl 2005“ wurde bereits vor einem Jahr vom Stift Klosterneuburg angekauft. Zusammen mit dem preisgekrönten „Boot“ gehört es nun zum Bestand der dortigen Galerie moderner Sakralkunst.

MMag. Wolfgang Christian Huber Museum | Kustos der Kunstsammlungen Stift Klosterneuburg 2023





Pietà mit Fuchs

Die Erinnerung wachhalten an den Wert des Lebens ist das primäre Anliegen der eindringlichen Arbeit Pietà mit Fuchs der Erfurter Künstlerin Konstanze Trommer.
Ihr Werk reflektiert zwei Objekte der Sammlung des Mittelrhein-Museums: Sowohl eine im
14. Jahrhundert von einem unbekannten Meister geschaffene Pietà-Skulptur als auch das kleinformatige Gemälde „Der Fuchs im Eisen“ von Januarius Zick sind Gegenstand der künstlerischen Auseinandersetzung.

Die skulptierte Pietà zeigt die innige Beziehung zwischen Mutter und ermordetem Sohn in einer höchst empathischen und berührenden Sprache. Erschöpft stützt Maria den leblosen, ausgemergelten Körper Christi mit ihrem rechten Arm und hält ihn so in aufrechter Sitzposition auf ihrem Schoß. Gleichsam präsentiert sie auf diese Weise den Geopferten dem Betrachter und fordert diesen damit zur Kontemplation auf.
Der Zick’sche Fuchs im Eisen wird pointiert in seiner – sprichwörtlich am Boden liegenden – Hilflosigkeit dargestellt: Mittels einer von Menschenhand ausgelegten Eisenfalle wurde das Tier gefangen und ging qualvoll in dieser zugrunde. Beide, Jesus Christus wie der gemarterte Fuchs, sind für Trommer gleichermaßen „göttliche Geschöpfe“, die rücksichtslos verfolgt und ermordet wurden.

In Anlehnung an diese Tötungen zeigt die Künstlerin in ihrem Werk Pietà mit Fuchs einen jungen Rotfuchs in den Armen eines vom Blut des Tieres beschmierten Mädchens, das den Betrachter in stummer Klage anblickt.
In der bildhaft-drastischen Konfrontation des ‚frischen‘ Lebens dieses Mädchens mit dem Tod des jungen Fuchses erfährt das per se Grausame und Absurde der Szene eine zusätzliche Betonung. Die Augen des Rezipienten mögen in der Abbildung des Todes quasi Alltägliches erblicken, aber sagen Herz und Verstand in der direkten Anschauung nicht, dass die Realität so nicht aussehen dürfte?
In diesem Kontext stellt sich mithin die Frage, ob die allgegenwärtige Medienpräsenz von prinzipiell ‚undenkbaren‘ und unaussprechlichen Schreckensnachrichten mitunter eine gewisse innere Abstumpfung zur Folge haben, die den Anblick – auch – eines gewaltsamen Todes als relativ ‚normal‘ erleben lässt? Mit der idealischen Vorstellung eines ‚Paradieses‘ hat das (partiell durchaus vermeidbare) Leid der Welt mitnichten zu tun – und doch wird allenthalben von einem solchen geträumt und erzählt.

Der Wildhund im Gemälde Trommers steht zwar exemplarisch für die vielen seiner Art, die noch immer von Menschen sinnlos gejagt und niedergemetzelt werden. Aber Pietà mit Fuchs appelliert nicht lediglich an einen besseren Umgang mit der Spezies Tier, sondern ganz generell an einen gesunden Menschenverstand, welcher gewillt ist, die Natur als Ganzes und all die darin lebenden Wesen zu achten und ein friedliches Neben- und Miteinander der Geschöpfe anzustreben und zu realisieren.
Frei nach Christa Wolf plädiert die Künstlerin für ein bisschen mehr praxisnahen Idealismus, der sich nicht in der Theorie erschöpft – denn was vorstellbar ist, muss auch machbar sein.

Barbara Kemmer
(Katalog zur Ausstellung Nexus II – Zeitgenossen im Dialog mit der Sammlung des Mittelrhein-Museums Koblenz 5. Oktober 2014 bis 11. Januar 2015
Herausgegeber Markus Bertsch und Barbara Kemmer)





Mord im Museum

… „Beginnen wir mit der geradezu spektakulären Darstellung des 3. Preises von Konstanze Trommer mit dem Titel „Albertina und der Hasenraub“. Das Motiv scheint zunächst einfach nachvollziehbar, gibt jedoch bei genauerem Hinsehen mehrfach Rätsel auf. Das eigentliche Geschehen ist rasch erzählt: Wir befinden uns in einem klassischen Museum mit Wandvertäfelung und farbig bespannten Wänden.
Das kostbare Kunstwerk, das unmittelbar zerstört wurde, ist mit einem breiten Goldrahmen versehen. Rechts neben dem Tatort steht eine schöne, junge Frau in einem kittelartigen Kleid, einem Mikrophon in Form eines head-sets und einem Band mit der Aufschrift „Albertina“. Damit wird der Ort des Geschehens benannt. Die „Albertina“, die bedeutendste Grafische Sammlung weltweit, ist in Wien beheimatet.
Gehen wir zurück zu dem zerstörten Kunstwerk: Es handelt sich um Albrecht Dürers Aquarell des „Hasen“ aus dem Jahr 1502. Diese weitere Inkunabel der Kunstgeschichte ist eines der beliebtesten und meist reproduzierten Kunstwerke weltweit. Das dargestellte Tier wurde aus dem Bildträger herausgetrennt, dabei kam es augenscheinlich zu Verletzungen des Papiers oder des Tieres? Und Blut floss. Diese Untat bewirkte die Transformation des Hasen in ein lebendes Wesen, das nun ein Jagdhund in seinen Fängen hält. In dieser Darstellung wird die medienkritische Feststellung René Magritts „Cé ne pas une Pipe“ bezogen auf die im Gemälde dargestellte Pfeife, scheinbar umgekehrt: Der aquarellierte Hase wird zum realen, lebenden Tier, zur Beute des Jagdhundes – und doch bleibt auch hier alles Malerei und damit Fiktion. (…)”

Dr. Brigitte Baumstark
Leiterin der Städtischen Galerie Karlsruhe, anlässlich der Verleihung des Kunstpreises der Sparkasse Karlsruhe 2017





Das Robbenjunge im Müll

… Das Beschirmen der Tierwelt wird erst möglich, durch die weitgehend freie Entwicklung aller Arten. Die wunderbaren Hervorbringungen in der Tierwelt als übertragbare Virtualität für eigene Entdeckungen zu begreifen, erforscht die Bionik. Das hilft, vom Menschenzentrismus wegzukommen, alle anderen Lebewesen zu respektieren und ihre Besonderheit zu erkennen.

Diese empathische und konstruktive Intention im Verhältnis Mensch und Tier sehe ich in den Bildern der Erfurter Malerin Konstanze Trommer, von der anzunehmen ist, dass sie sich wohl wünscht, mit ihren Bildern, nach Adalbert Stifter, „den Himmel in die Seele (zu malen)“. In ihrem Gemälde „Junger Mann mit Wolf“ stehen Mensch und Tier von 2015 Seit an Seit und auf der Bildfläche mit gleichem Recht.
Der Wolf steht für Wolf, der das Geschehen vor ihm beobachtet, die Zähne zur eigenen Sicherheit bereit. Die Nähe dieses Menschen duldet er wegen dessen Geruches, der von seiner steten Verbindung zu den Tieren herrührt. Dass der Mann den Wolf berührt und ihm dadurch seinen Willen signalisiert, spricht für eine Domestizierung des Wolfes oder für das Einleben des Mannes im Rudel, in dem er eine führende Rolle spielt und wo Berührungen erlaubt und gewünscht werden. Darüber hinaus ist das souveräne Nebeneinander von Mensch und Wolf ein sinnbildliches Motiv für die Gemeinsamkeit der Lebewesen.

Im Vergleich gestaltet auf andere Weise die Mensch-Tier-Beziehung die Dresdener Künstlerin Angela Hampel, welche die Form stilisiert und mit mythologischen Inhalten verbindet. Bei Hampel vereinen die Bilder merkwürdigen Liebespaare, eine Frau und ein Tier. Doch die Tiere verkörpern Eigenheiten bei Männern. Dagegen geht Konstanze Trommer einen anderen Weg. Dafür ist die realistische Form ein entscheidender Hinweis. Konstanze Trommer meint das Tier ganz eigenständig, ohne einen Menschenaspekt auf das Tier zu übertragen. Die Schönheit des Tieres begreift sie mit Herwarth Walden: „Alles Organische ist schön. Ein Ochse ist ebenso schön wie eine Nachtigall. Nur muß der Ochse nur Ochse sein wollen und die Nachtigall nur Nachtigall. Und das Bild nur Bild.” Der tiefere Sinn liegt in der Metaphorik, nicht den Wolf oder Stier für sich zu meinen, sondern jedes tierische Wesen.

Eine weitergehende Metaphorik bringt das Bild „Johannes und Luchs“, 2016-17, hervor. Das Verhältnis zwischen Mensch und Tier ist trotz realistischer Naturformen nicht herunter gebrochen auf das Realnaturalistische. Im Motiv des aufrecht stehenden Luchses gewinnt bei ihm ein Gefühl an Bedeutung, weil er seinen Kopf an den Oberarm des sportlich und landläufig als Künstler gekleideten jungen Mannes schmiegt. Sollte der Luchs eine gewisse „Einsicht“ zeigen, entspricht die Tierauffassung einer weltweiten künstlerischen Tendenz, beispielsweise beim Schriftsteller Jack London, das Tier dem Menschen anzunähern. „In seiner rechten Hand hat er einen Pinsel, der aber durchaus auch ein Zauberstab oder ein Dirigentenstab sein könnte“, wie Konstanze Trommer erklärt und damit meint: „Aber im Großen und Ganzen ist das ja fast eins.“ Denn in dem Bild kommt die bestimmende Haltung des Menschen über das Tier zum Tragen, das von Vernunft und Einsicht in die Wesensart des Tieres bestimmt ist und nur so es zu dirigieren vermag.
Bei Johannes ist ein Einstehen für den Luchs zu spüren, indem er sich zum Betrachter herumdreht und dem Betrachter ein offenes Gesicht zuwendet. Im Hellblau des Himmels segelt ein Vogel; sie sind in der Natur. Doch über den Boden führt ein abstraktes Muster. Ein Bildzeichen für die rationale Betrachtung, die der Mensch den animalischen Vorgängen unterwirft. Die schmalen, harmonischen, in die Tiefe führenden Farbflächen, die von den Streifenbildern Gerhard Richters angeregt sein könnten, sind ein Ergebnis aus einer Werkgruppe, in der sich Trommer mit der abstrakten Kunst auseinandergesetzt und dem Rationalen eine sinnliche Form gegeben hat. Die abstrakten Formen, die ein Sinnzeichen für die vom Menschen gestaltete oder zweckmäßig zugerichtete Umwelt sind, kommen zu den naturalistischen, bilden mit futuristischen Elementen mehrfach Komplexbilder, wie „Dies irae“, 2013-14.

Nicht nur in der künstlerischen Technik ist Trommer erfindungsreich. Die Acrylmalerei kombiniert sie mit Thermodruck auf Seide, hinterfüttert und vernäht die Bildfläche oder arbeitet mit Tintenstrahl und mit anderen modernsten Techniken.
Die Menschenbilder Trommers belegen eine großartige Porträtfähigkeit. In den prächtigen Stillleben beeindruckt ein sensualistischer Realismus. Das zeigt, wie sich in Trommers Personalstil verschiedene Kunsttendenzen entsprechend der gewollten Intention vereinen. Ebenso einfallsreich ist ihre Ikonographie mit erzählenden Motiven.

Im Bild „Eden“, 2017-18, treten zwei Mädchen mit entgegengesetzten Haltungen auf. Bei dem einen, in „anständiger“ Kleidung, ist keine Empathie für das Tierschicksal zu bemerken, nur die technische Lust und ein Interesse daran, das dramatische Ereignis filmisch unter Schreckensmeldung festzuhalten, um es vielleicht zu verbreiten. Es geschieht mit einer Drohne, ein belästigendes Spielzeug, das manchmal gefährlich ist und den Luftraum verschmutzt sowie bald auf den Müllberg als Abfall landen wird. Aus dem vom Meere angespülte Plastemüll birgt, ja rettet andererseits ein junges Mädchen als aufmerksame Entdeckerin selbst mit Sturzhelm gewappnet, unspektakulär, in einer lobenswerten Aktion das Robbenkind.

Das vom Menschen überbaute, von Verkehrsströmen durchzogene Erdreich erfährt Zerstörungen des natürlichen Lebensmilieus, Tiere werden verletzt und getötet, oft zufällig und durch nachlässiges Verhalten, oft durch absichtliche Willkür wegen der anscheinend wundersamen Wirkung von Tierorganen, immer wieder in Tierversuchen. Diese Dramatik steigert die Künstlerin in dem entsetzlichen Motiv, das ein getötetes junges Tier, ob Rotfuchs, Ferkel oder Waschbär, in den Armen eines jungen Mädchens ruht. In den Bildern gewinnt der Mensch mit totem Tier eine Gestaltung, die dem Bildtyp der Pietà entspricht. Allerdings ist das Mädchen nicht wie Maria mit getötetem Christus-Sohn in ihrer Trauer eingeschlossen. Das Bild ruft auch nicht zur Andacht auf, weil das Mädchen einen eindringlichen Mahnruf vor Augen stellt.
Zur Echtheit der Empfindung und zur Wahrheit des Ausdruckes gehört, dass das vom Blut des Tieres berührte Mädchen kein Ekel schüttelt, dass ihr in der erschütternden Bedrängnis nicht der Gedanke kommt, eine Ansteckung wäre möglich, und dass es sie wegen des hässlichen Beschmierens von Körper und Kleidung nicht schaudert. Deshalb ist die naturalistische Darstellung vor allem für den Betrachter eine provozierende Schreckensform und könnte bei der Bildbetrachtung an die Grenze gelangen, ein solches Bild zu ertragen. Aber es ist ein Recht der Leichname und der Reste vom Leben würdig behandelt zu werden. Außerdem sind auf den Bildern keine toten Tiere zu sehen, sondern Bildzeichen für sie, eine Fläche aus roter Farbe und nicht aus Blut. Das Bild stellt nichts unmittelbar, sondern metaphorisch dar, ist also, wie Herwarth Walden sagte, „nur Bild”.

Die Phantasie der Künstlerin dreht manches ins Paradoxe, so im Kriminalfallbild „Albertina und der Hasenraub“, 2017, wo aus dem Bild der gemalte (Dürer-) Hase als wirkliches Lebewesen geraubt wird und als einen weiteren tragenden Widerspruch mit sich führt: Der künstlerische Hase lebte, doch der zur lebendigen Natur verwandelte Bildhase ist nun tot. Welche Möglichkeit für die mannequingestylte Kunstwissenschaftlerin oder Kunstreporterin, aus dem Ereignis mit seelisch abgestumpfter Intellektualität zu profitieren.
Die vornehmen Damen auf Bildern Konstanze Trommers in eleganten Lederschuhen und
-handschuhen, in Persianer oder anderen Pelzmänteln, in Fellen von Osterlämmern oder Marderhunden, die sogar bei lebendigem Leib gehäutet worden sind, sprechen vom Reichtum und von der gierigen und zynischen menschlichen, doch inhumanen Macht. Tierisches Leben wird verachtet und dem Gefühl des Luxus unterworfen. Die menschliche Egozentrik und Selbstsucht wird von der Intention des Gemäldes „Eden“ gegeißelt, weil der paradiesische Garten zermüllt worden ist.

Wenn die Vorstellung vom Humanismus einen kulturübergreifenden Humanismus umfasst, sollte in das interkulturelle Humanitätsdenken auch ein Mensch-Natur-Verhältnis eingeschlossen sein. Humanität umfasst nicht nur die Bedingungen des Menschen zum Menschen, sondern ebenso die Beziehungen zwischen Menschheit und Tierheit und Pflanzenreich. Der übergreifende Maßstab sind die Bedingungen des komplexen Zusammenhalts, die allen Lebewesen gerecht werden mit dem Schutz von Grund und Boden.

Die Bilder Konstanze Trommers entspringen oftmals dem Mitgefühl mit dem misshandelten Tier. Sie machen aufmerksam, wie die Lebewesen an des Menschen Seite auf verschiedene Weise erkennen und fühlen – „mit demselben Anspruch wie wir, zu leben, zu lieben, zu spielen“, so die Künstlerin selbst. Die eindringliche Kunst Konstanze Trommers dürfte an dieser Humanität mitwirken und beitragen, eine Ethik der Lebensbewahrung zu errichten.

Prof. Dr. Peter Arlt
Mensch und Tier bei Konstanze Trommer
(Text im Katalog „Im Schatten der Tiere–Malerei“ – hier gekürzt)





»... Sie zählt zu den wenigen renommierten Künstlerinnen in Thüringen, die sich nach der politischen Wende in der ehemaligen DDR konsequent und mit Erfolg neue Arbeitsbereiche erschlossen haben.«
      Cornelia Nowak, Kunstwissenschaftlerin, Erfurt;
      anläßlich der Eröffnung der Ausstellung auf der Osterburg Weida, 25. 5. 1999



»... Jedenfalls ist mir in Thüringen weit und breit keine andere Künstlerpersönlichkeit bekannt,
die sich so einprägsam und mit so gültigen Ergebnissen mit der Computerkunst befaßt, und wo die Resultate dieser Arbeit eine so intensive Beziehung mit dem malerischen und grafischen Gesamtwerk eingehen.«

      Prof. Rudolf Kober, Kunstwissenschaftler, Erfurt;
      anläßlich der Eröffnung der Ausstellung »Malerei + Grafik von Konstanze Trommer«
      im Hauptgebäude der Thüringer Energie AG am 23. 11. 1999  



»... Hinzu kommt die Souveränität der Ausführung.
Ich denke das zeichnet Ihre Werke heute so aus.
Sie sind klar, eindeutig und von gestalterischer Überzeugungskraft. Und dies in einer Zeit, in der Kunst oft genug (allzuoft) in Unverbindlichkeit und Belanglosigkeit sich zu erschöpfen scheint.
Also herzlichen Dank für Ihre kraftvollen und konkreten Kunstwerke...«

      Hans-Peter Jakobson, Direktor des Museums für angewandte Kunst Gera;
      aus einem brief vom 5. 4. 1995 anläßlich der Herausgabe des Kataloges
      zur Ausstellung im Thüringer Finanzministerium

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